Ulrichskirche
 

 
 

Ausstellung „Unseres Herrgotts Kanzlei - Schätze der Stadtbibliothek aus der Frühphase der Reformation“

Trotz großer Verluste im Dreißigjährigen Krieg und im Zweiten Weltkrieg verfügt die Stadtbibliothek Magdeburg noch heute über eine erfreulich hohe Anzahl von Drucken aus dem 16. Jahrhundert. Zusammen mit anderen Bibliotheken der Stadt befinden sich noch ca. 250 Schriften dieser Zeit tatsächlich in Magdeburg. Sie gehören zu den ältesten und wertvollsten gedruckten Zeugnissen der Stadt, die überliefert wurden. Erhalten sind unter anderem auch die bedeutenden Streitschriften der Theologen aus der Magdeburger Ulrichskirche (Amsdorf, Flacius, Gallus). Des Weiteren ist die Stadtbibliothek auch im Besitz der berühmten „Magdeburger Centurien“. Vom März bis Oktober 2024 stellt sie ihre Bücherschätze in der Ausstellung „Unseres Herrgotts Kanzlei - Schätze der Stadtbibliothek aus der Frühphase der Reformation“ eindrucksvoll aus. Besonderer Dank hierfür gilt der Leiterin der Magdeburger Stadtbibliothek Dr. Cornelia Poenicke und ihrem Team.Auf einem der aufgestellten Banner heißt es einleitend zu der großartigen Ausstellung, deren Besuch wir Einheimischen und Besuchern der Stadt wärmstens empfehlen möchten:

„Vor 500 Jahren nahm Magdeburg den ‚neuen Glauben‘ an und wurde evangelisch. Der Wittenberger Reformator Martin Luther predigte selbst 1524 in der altehrwürdigen Ratskirche St. Johannis über seine Lehren. Als eine der ersten großen Städte Nord- und Mitteldeutschlands trat die ‚Alte Stadt Magdeburg‘ zur Reformation über.
Als im November des darauffolgenden Jahres die Bibliothek des Augustiner-Eremiten-Klosters an den Rat der Stadt überging, war der Grundstein für unsere städtische Einrichtung gelegt. 2025 begehen wir daher das 500. Jubiläum der Stadtbibliothek Magdeburg. Mit der diesjährigen Ausstellung ‚Unseres Herrgotts Kanzlei…‘ machen wir uns mit Ihnen auf den Weg.
Die Reformation machte Magdeburg zu einem zentralen Publikationsort für theologische Schriften. Der sprunghafte Aufschwund der Druckproduktion schlägt sich in der umfangreichen Überlieferung sogenannter Frühdrucke des 16. Jahrhhunderts in unserem Historischen Bestand bis heute nieder.
Unsere Buchschätze spiegeln die Entwicklung der Reformation in Magdeburg wider sowie die Erinnerung an sie in späteren Jahrhunderten. Vor allem der gleichnamige historische Roman Wilhelm Raabes rief in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den einstigen evangelischen Ehrennamen ‚Unseres Herrgotts Kanzlei‘ einem national gesinnten Publikum wieder ins Gedächtnis. In der DDR erschien die Repräsentation Magdeburgs als vormalige protestantische Hochburg dagegen nicht mehr als oppertun.
Unser Historischer Bestand umfasst zahlreiche Zeugnisse der typisch protestantischen Religiosität, die mit Hilfe von Gesangbuch und Katechismus weitergegeben wurde. Dass der Christmensch unmittelbar zu Gott steht und auf seinen Glauben vertrauen darf, wurde mit dem gedruckten Wort untermauert. Zu Beginn der Neuzeit entstanden zum ersten Mal Bürgerschulen in Magdeburg, die einer nicht-adligen und nicht-geistlichen Schicht unter protestantischen Vorzeichen Zugang zu Bildung eröffneten.
Der Beiname ‚Unseres Herrgotts Kanzlei‘ geht dann aber vor allem auf die turbulenten Jahre zwischen der Niederlage eines evangelischen Fürstenbündnisses im Schmalkaldischen Krieg (1546-1547) und der Belagerung der Stadt durch den späteren sächsischen Kurfürsten Moritz von Sachsen (1550-51) zurück. Magdeburg widersetzt sich dem Augsburger Interim von 1548 und hielt entschieden an der lutherischen Lehre fest.
Aus anderen Städten des Reiches siedelten sich orthodoxe evangelische Theologen wir Matthias Flacius Illyricus in der ‚Alten Stadt‘ an und publizierten in besonders großer Zahl auch während der Belagerung Streitschriften ‚gegen Kaiser und Papst‘. Ohne die in der Stadt ansässigen Druckerwerkstätten, die mit Blick auf ein breites Publikum zumeist in mittelhochdeutscher Sprache unablässig veröffentlichten, wäre dieser publizistische Widerstand nicht möglich gewesen.
Warum lohnt es sich, 2024 in einer Stadt mit einer mehrheitlich nicht mehr kirchlich gebundenen Bevölkerung auf die Anfänge der Reformation zurückzuschauen? Die Frühdrucke zählen zur schriftlichen Memoria Magdeburgs, die uns an einen Wendepunkt der Stadtgeschichte zurückführen, der der Katastrophe von 1631 vorausgeht, als die Stadt im Dreißigjährigen Krieg Schauplatz einer beispiellosen Zerstörung wurde.
Einerseits nimmt mit der Reformation die mediale Revolution des Buchdrucks Fahrt auf, die Anzahl von Publikationen in mittelhochdeutscher Sprache steigen geradezu explosionsartig an und die Schicht der Stadtbürger emanzipiert sich nicht zuletzt durch Bildung. Die Reformation eröffnet dem Individuum neue Räume der Selbstermächtigung. Der Austausch von Argumenten und Fragen wird in den städtischen Gemeinden und weit darüber hinaus möglich. Der Geist des Humanismus verbreitet sich mit den Absolventen der Stadtschule.
Andererseits wird in ‚Unseres Herrgotts Kanzlei‘ ein Selbstverständnis als Bollwerk und Feste untermauert, das nicht auf Ausgleich und Toleranz gerichtet war. Mit einem Abstand von 500 Jahren und in einem postreligiösen Umfeld können wir unvoreingenommen auf die Ereignisse und Akteure schauen, ohne nachträglich Partei ergreifen zu müssen. Gleichwohl schallen die Dringlichkeit und die Unbedingtheit des vergangenen Ringens um das Seelenheil aus den Zeugnissen noch zu uns hinüber.“

Folgend ein Link zur Ausstellung in der Stadtbibliothek Magdeburg:

https://stadtbibliothek.magdeburg.de/Veranstaltungen/EventID/1144/CRC/A322ECF8AD08E69BD4D77250876DAFCA/Haussausstellung-quot-Unseres-Herrgotts-Kanzlei-B%C3%BCchersch%C3%A4tze-aus-der-fr%C3%BChen-Phase-der-Reformation-in-Magdeburg-quot

Hier heißt es: „Zusätzlich werden während der Laufzeit der Ausstellung thematische Begleitveranstaltungen und Führungen angeboten. Bei Führungen für Gruppen sowie Einzelpersonen wird um Anmeldung gebeten (Informationszentrum: 0391/ 540-4884; webteam@stadtbibliothek.magdeburg.de). Der Eintritt ist frei.“