Ulrichskirche
 

 
 

"Magdeburg 2050" - die großartige Rede von Dr. Wilhelm Polte

Dr. Wilhelm Poltes Rede auf der Festveranstaltung „20 Jahre Kommunale Selbstverwaltung in der Landeshauptstadt Magdeburg“ am 31. Mai 2010, 17.00 Uhr, in der Johanniskirche

Zunächst darf ich allen Mitstreitern und Widerstreitern der letzten 20 Jahre meinen herzlichen Gruß entbieten. Anstelle eines Rückblicks möchte ich einige Herausforderungen und Fragestellungen benennen, von denen ich mir wünsche, dass sich alle, die sich für unsere Stadt verantwortlich fühlen, in den nächsten Jahren damit auseinandersetzen und ein Leitbild entwickeln z. B. unter dem Arbeitstitel "Magdeburg 2050". Zunächst aber als Ausgangspunkt meine Feststellung: Unsere Stadt wird sehr professionell verwaltet und nach 20 Jahren "Kommunaler Selbstverwaltung"  wurden alle wahrzunehmenden Lebensfunktionen grundlegend erneuert. Das erreichte Niveau an Lebens- und Wohnqualität ist ohne Beispiel in der Geschichte unserer Stadt. Um es dauerhaft zu erhalten, müssen wir uns nun verstärkt  den Fragen einer langfristigen  Zukunftssicherung zuwenden. Was muss geschehen, um Magdeburg zur Metropole des nördlichen Mitteldeutschlands zu entwickeln und ihr im wiedervereinten Deutschland die Bedeutung und das Ansehen zu verschaffen, das sie in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts erworben hatte? Die Aufgabenstellung für die nächsten Jahre und Jahrzehnte möchte ich so formulieren:

1.) Die Metropolfunktion hängt ab vom Humanpotential, also von den Einwohnern selbst und der Einwohnerzahl (Umschlag von einer Quantität zu einer neuen Qualität), vom demographischen Wandel und von der Kinder- und Jugendfreundlichkeit der Stadt. Wir müssen eine Willkommenskultur entwickeln, wie bei den Hugenotten im alten Preußen. Es soll jeder nach seiner Fasson selig werden!

2.) Die Metropolfunktion hängt ab von der Wirtschafts- und Wissenschaftskraft, von Spitzenbedingungen für die allgemeine Bildung, der Hochbegabtenförderung sowie von den Studienbedingungen. Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen sind die Motoren der regionalen Wirtschaftsentwicklung!
 
3.) Die Metropolfunktion hängt ab vom infrastrukturellen Niveau und der verkehrlichen  Anbindung durch alle Verkehrsträger. Die Logistik ist heute so wichtig geworden wie die Produktion. Ein Negativbeispiel ist die Anbindung Magdeburgs an die ICE–Strecke, die schon zu DDR-Zeiten verschlafen wurde. Man schaue nur auf die Straßenkarte mit dem Autobahnnetz um Halle-Leipzig. Magdeburg muss aufpassen, um nicht wieder das Nachsehen zu haben. Die Altvorderen waren aber auch auf der Höhe der Zeit:  Hansehafen, Europaring und die Verlängerung der Strombrücke sind nur einige Beispiele.
 
4.) Die Metropolfunktion hängt ab von einer bewussten Wahrnehmung und Stärkung der kulturellen Mittelpunktsfunktion. Alle Wasser Mitteldeutschlands fließen nach Magdeburg. Die Kultur-Charta ist ein Anfang:
         .   Landesmuseum für Geschichte Mitteldeutschlands
         .   Telemann-Museum
         .   Stadtgeschichtliches Museum
         .   Museum der Technik- und Sozialgeschichte Magdeburgs
         .   Wiedererrichtung der Kunstgewerbeschule
         .   Weiterentwicklung des Telemann-Konservatoriums zu einer Schule mit akademischem Ausbildungsprofil
         .   Schaffung eines Künstlertreffs wie einst das Domizil der Künstlervereinigung "St. Lukas" u.a.
 
5.) Die Metropolfunktion hängt ab von den historischen, stadtgeschichtlichen und  baugeschichtlichen Besonderheiten und Identifikationsmerkmalen. Dabei ist der urbane  Innenstadtbereich die Seele einer Stadt, sowohl für die eigenen Bürger wie auch für die Besucher der Stadt. Seele hat etwas mit Emotionen zu tun, und sie sind nichts anderes als was man heute mit dem Wort "Image" also "Ansehen" umschreibt. Ansehen ist in der Wettbewerbsgesellschaft eine "Produktivkraft". Unsere Innenstadt bedarf einer weiteren Verdichtung und damit auch der Aktualisierung des Rahmenplans zur Innenstadtentwicklung.
 
          Beispiele:  -  Rund um die Johanniskirche bis zum Neuen Rathaus
                           -  Baufläche zwischen Kutscherstraße und Julius-Bremer-Straße
                           -  Ostseite des Uniplatzes
                           -  Alter Busbahnhof und Westseite der Bahnhofstraße
                           -  Südabschnitt des Breiten Weges-Ostseite
                           -  Falls bürgerschaftliches Engagement vermag, die Ulrichskirche
                              neu erstehen zu lassen, kann es m.E. nicht um das "Ob" gehen,
                              sondern nur um das "Wie"!
 
Nach 1990 hatten wir nicht die Zeit, über die städtebauliche Gestaltung am Bahnhofsvorplatz und am Zentralen Platz lange zu streiten, die Leute wollten Kräne sehen und erwarteten sichtbare Erneuerungen. Jetzt haben wir die Zeit, durch den Bau identitätsstiftender Bauwerke aus der Vergangenheit und avantgardistische Bauten der Gegenwart das besondere magdeburgspezifische, unverwechselbare Innenstadtprofil weiter auszuprägen. Christoph Schlingensief zum Beispiel baut im ärmsten Land Afrikas, in Burkina Faso, eine Oper. Haben wir keine realistischen Träume? In unserer Stadt kommen 174 m² Grünfläche auf jeden Einwohner, da soll der Verlust von 2000 m² für die beabsichtigte Rekonstruktion der Ulrichskirche eine Katastrophe sein? 100 ha haben wir allein durch den im Zuge der BUGA 1999 geschaffenen Elbauenpark gewonnen! In welchen Kategorien denken und argumentieren manche Leute um etwas zu verhindern, was ihnen aus mangelndem Geschichtsbewusstsein oder verklemmter Ideologie grundsätzlich nicht passt?
                                           
6.) Die Metropolfunktion hängt ab von den Verzerrungen der Bevölkerungsstruktur, der Sozialstruktur, der Wirtschaftskraft und des Finanzaufkommens im Stadt-Umland-Bereich. Diesen Verzerrungen muss durch eine  gesetzliche Lösung durch den Landtag entgegengewirkt werden. Die Magdeburger MdL's  sind hierbei in der Pflicht. Eine Stärkung der Ober- und Mittelzentren liegt im Interesse der Regionen wie des Landes Sachsen-Anhalt. Die Magdeburger Stadtpolitik muss denken von Wolmirstedt bis Schönebeck, von Wanzleben bis Gommern und dies bei der Regional- und Verkehrsplanung immer beachten, auch im Interesse eines späteren Zusammengehens. Sie sollte durch perspektivisches Denken geprägt sein! Ich meine damit salopp gesagt nicht durch ein Denken von "Mittag bis um Zwölfe".
 
Fazit: Ich möchte hier und heute die Bildung eines noch in seiner Zusammensetzung festzulegenden Gremiums anregen, das sich mit diesen und weiteren Fragen der Zukunftssicherung befasst und ein Leitbild mit den Maßnahmen zur mittel- und langfristigen Entwicklung vorschlägt. Dazu braucht es Visionäre, keine Bedenkenträger. Eine Durchschnittsstadt sollte uns nicht genügen. Unser Platz muss die Spitzengruppe bei einem deutschlandweiten Städteranking der Großstädte sein! Mit der Selbstverständlichkeit, wie sowohl die Handballer des SCM als auch die Fußballer des 1. FCM die Bundesliga anstreben, möchte ich auch eines Tages unsere Stadt Magdeburg  im Vorderfeld sehen. So manche Entscheidung, die dem Stadtrat und dem Oberbürgermeister viel Mühe abverlangen, wäre bei einem klaren Leitbild "Magdeburg  2050" viel leichter zu treffen.
 
Nach der beeindruckenden Bilanz unserer 20-jährigen Kommunalpolitik gemäß den Grundsätzen der Kommunalen Selbstverwaltung, wünsche ich mir einen immer weitsichtigen Stadtrat, der sich gemeinsam mit dem hauptamtlichen Teil der Stadtverwaltung aus dem Wissen und im Bewusstsein der 1200-jährigen Stadthistorie heraus, auf dem Niveau der Gegenwart, ehrgeizige, einer gedeihlichen Zukunft der Stadt verpflichtete stadtpolitische Ziele setzt. Dazu wünsche ich allen, die sich unserer Stadt emotional verbunden fühlen, das richtige Maß an Liebe und Leidenschaft für das Magdeburg unserer Kinder und Enkel. Glück Auf!