Ulrichskirche
 

Die Magdeburger Ulrichskirche:
Die Plattform für die Bekennende Kirche.

Günther Carl Dehn (1882-1970) hielt am 6. November 1928 im Gemeindehaus der Ulrichskirche in Magdeburg einen folgenreichen Vortrag über "Kirche und Völkerversöhnung". Dehn war evangelischer Pastor und praktischer Theologe. Er war religiöser Sozialist, später illegaler Ausbilder in der Bekennenden Kirche und nach 1945 Professor für Praktische Theologie. Der „Fall Dehn“ machte ihn 1931/32 in ganz Deutschland bekannt als eines der ersten Opfer nationalistischer und nationalsozialistischer Hetzkampagnen gegen kritische Intellektuelle in der Weimarer Republik.

In dem Vortrag  bejahte er das Recht des Verteidigungskrieges und lehnte die Kriegsdienstverweigerung ab, stellte aber in Bezug auf das Bibelwort Joh 15,13 LUT fest: "Es ist allgemein üblich, dass von der Kirche der Tod fürs Vaterland unter das Bibelwort gestellt wird: ‚Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde'. Wir wollen ganz gewiss diesem Tod seine Würde und auch seine Größe lassen; aber ebenso gewiss wollen wir auch die Wahrheit sagen. Es wird bei dieser Darstellung eben außer acht gelassen, dass der, der getötet wurde, eben auch selbst hat töten wollen. Damit wird die Parallelisierung mit dem christlichen Opfertod zu einer Unmöglichkeit. Im Anschluss daran sollte man auch die Frage erwägen, ob es richtig sei, den Gefallenen Denkmäler in den Kirchen zu errichten. Sollte man das nicht vielleicht der bürgerlichen Gemeinde überlassen?" Dies rief große Empörung hervor, die sich monatelang über die Gemeinde hinaus fortsetzte.

Dehn’s Frage wurde weithin so aufgefasst, dass er Soldaten als Mörder betrachte und ihnen deshalb die christliche Ehre in den Kirchen habe verweigern wollen. Dehn erhielt viele Hass- und Drohbriefe. Die Deutschnationale Volkspartei Magdeburg-Anhalts veröffentlichte einen Protest gegen ihn in der Presse und löste damit eine überregionale Hetzkampagne aus. Wegen der anhaltenden Proteste auch nationaler Verbände bestellte das Berliner Landeskirchenamt Dehn ein, wo er sich erklärte. Erst sechs Monate später erhielt er daraufhin einen Verweis: Sein Verhalten habe den "allgemeinen kirchlichen Interessen" geschadet. Er wurde aufgefordert, sich in Zukunft besonnener zu verhalten, ohne dass auf den Inhalt seiner Rede Bezug genommen wurde. Von nun an war Dehn in ganz Deutschland als "roter Pfarrer" bekannt. Dehn bewarb sich erfolglos für andere Pfarrstellen außerhalb Berlins und als Gefängnispfarrer, fand aber keine Gemeinde, die ihn wählen wollte.

Oskar Zuckschwerdt (1883-1965) siedelte Ende 1922 als Pfarrer von St.Ulrich und Levin nach Magdeburg über. Bald nach der nationalsozialistischen Machtergreifung trat er dem Pfarrernotbund und der Bekennenden Kirche bei.

Die Angriffe der nationalsozialistischen Presse gegen seine Taufe eines Juden machten ihn 1935/36 zur deutschlandweiten Berühmtheit. Ein Manuskript für die Glieder der bekennenden Kirche verfasst vom Provinzialbruderrat der Provinz Sachsen berichtet unter der Überschrift „Evangelium und Taufe!“ zu den Angriffen gegen Pfarrer Zuckschwerdt: „In mehreren Nummern hat der ‚Stürmer’ sich mit der Taufe des als Sittlichkeitsverbrecher verurteilten Juden Albert Hirschland in Magdeburg durch den der Bekennenden Kirche zugehörigen Pfarrer Zuckschwerdt berichtet...Von Hirschlands Verbrechen, die bis in das Jahr 1934 hineinreichen, wusste damals die Öffentlichkeit noch nichts. Selbst in seinem Hause und unter seinen Bekannten vermutete niemand, dass sein Verhältnis zu Mädchen der Schule ein anderes war, als zwischen Lehrer und Schüler. Wie es möglich war, dass Hirschland die Öffentlichkeit so über sich täuschen konnte, ist unverständlich. Wer will Pfarrer Zuckschwerdt einen Vorwurf daraus machen, dass auch er von Hirschland getäuscht wurde! In die tiefste Seele eines Menschen kann ja niemand hineinschauen.“ Pfarrer Zuckschwerdt gab daraufhin folgende Erklärung ab: „Ein Wort an meine Ulrichsgemeinde. Ich fühle mich verpflichtet, den Gliedern meiner Gemeinde folgendes mitzuteilen: 1. Ich habe mich bei der Erteilung des Unterrichts und bei der Gewährung der Taufe des U. Hirschland ganz streng an die allgemein geltenden kirchengesetzlichen Bestimmungen gehalten. 2. Ich habe während der ganzen Dauer des Unterrichts nicht von den sittlichen Verfehlungen des Taufbewerbers gewusst. Allen Gemeindegliedern, die mir in diesen schweren Tagen ihr Vertrauen und ihre Treue bekundet haben, herzlichen Dank! Pastor Zuckschwerdt.“

Der Provinzialbruderrat der Provinz Sachsen stellte Zuckschwerdt unter Schutz und stellte Strafanzeige gegen den „Stürmer“ bei der Staatsanwaltschaft wegen Beschimpfung der christlichen Taufe und Beleidigung des Pfarrers Zuckschwerdt. Das Konsistorium dagegen hatte für seinen Schutz nichts unternommen, der Bischof Peter hatte den Magdeburger Pfarrern sogar den Rat gegeben, sich von Pfarrer Zuckschwerdt zu distanzieren.  Wegen Vergehen gegen das “Sammlungsgesetz” und “Kanzelmissbrauch” wurde er 1937 wiederholt verhaftet und verbrachte mehrere Monate in Untersuchungshaft.

Im Juni 1945 wurde Zuckschwerdt zum Superintendenten des Kirchenkreises Magdeburg und im August überdies in die Vorläufige Geistliche Leitung der Kirchenprovinz Sachsen berufen. 1946 wurde ihm mit der neu geschaffenen Propstei Magdeburg auch die ständige Stellvertretung des Bischofs der Kirchenprovinz Sachsen unter Beibehaltung seiner Pfarrstelle an St. Ulrich übertragen.

1958 in den Ruhestand versetzt, verbrachte Zuckschwerdt seinen Lebensabend in Göttingen. Zuckschwerdt zählte als Mitglied der zwölfköpfigen intellektuellen Gesellschaft Vespertina seit Ende der 1920er Jahre zu den Magdeburger Honoratioren. Er veröffentlichte zahlreiche Predigten, theologische und pädagogische Abhandlungen. Wegen seiner standhaften religiösen Überzeugung war er sowohl unter nationalsozialistischer wie unter kommunistischer Herrschaft schweren öffentlichen Angriffen ausgesetzt. Nach Kriegsende arbeitete er in führenden kirchlichen Ämtern, u. a. seit 1946 als Mitglied der Kirchenleitung, an der Ordnung der neu begründeten Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen mit und trug dazu bei, dass diese maßgeblich von den Traditionen der Bekennenden Kirche geprägt wurde.

 
 
 
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Zitat des Monats

"Aber woher sollten das die Wähler wissen? Hätten sie es gewusst und anders abgestimmt, wäre Magdeburg jetzt jährlich das Ziel von zigtausenden US-Touristen und 2025 sicher Kulturhauptstadt Europas." Siegfried Kolberg, Magdeburg

 
 
Das Buch über die Ulrichskirche