Vom Hauptbahnhof kommend gibt es durch die verheerenden Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und durch den ideologisch begründeten Flächenabriss der Reste der alten Stadt Magdeburg zu DDR-Zeiten kaum noch ein Gebäude, das an die rühmliche, über 1200jährige Geschichte der Bürgerstadt Magdeburg erinnert. Die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stadt ist daher erschwert. Als Ersatz dient die ehemalige Bischoftsstadt um den Dom und die beiden Stiftskirchen Unser Lieben Frauen und St. Sebastian. Die Bürgerstadt Magdeburg ist jedoch fast komplett verschwunden, einzig das Rathaus, die ehemalige Ratskirche St. Johannis und die Fischerkirche St. Petri erinnern noch an sie. Die Pfarrkirchen St. Ulrich und Levin, Heilig-Geist, St. Katharinen und St. Jacobi sind durch Krieg und Abrisswut zu DDR-Zeiten komplett verschwunden, ebenso unzählige Profanbauten des bürgerlichen Magdeburgs. DIe Nachwendebauten (Einkaufszentrum City-Carré, Einkaufszentrum Ulrichshaus, Einkaufszentrum Allee-Center) trugen nicht zur Identifikationsbildung bei. Die folgenden Zitate stützen diese Einschätzung:
2001 - Ute Kraft (Mitarbeiterin des Stadtplanungsamtes Magdeburg):
„Die Gestaltung der neuen Mitte sollte nach dem Wunsch der Magdeburger etwas ‚Typisches‘ für die Innenstadt werden, das eine Identifikation der Bürger, wie mit dem Vorkriegs-Stadtbild, ermöglichen sollte. Dieses Ziel scheint jedoch nicht erreicht worden zu sein, es entstanden unspezifische Bauten aus viel Glas, Stahl und Beton, die auch in jeder anderen deutschen Stadt stehen könnten." (Quelle: Magdeburg. Architektur und Städtebau)
2021 - Dr. Willi Polte (Alt-Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg)
"Die Cityentwicklung […] ist noch längst nicht an dem Punkt, wo man sie gern schon hätte, also mehr außergewöhnliche Architektur, mehr, sinnbildlich gesprochen, Hundertwasserhaus, mehr Kleinteiligkeit. […] So etwas hat Signalwirkung auch für den Tourismus. Wegen schön gestalteter Grünanlagen in der City kommt niemand zu uns!" (Quelle: Magdeburg lebt - Visionen einer Stadt)
2023 - Karl-Heinz Kaiser (Journalist, ehemaliger Redakteur der Magdeburger Volksstimme):
„Die Stadt zeigt sich bis heute mit einer weitläufigen, auseinandergerissenen City und mit nur wenigen geretteten Gebäuden der einstigen Altstadt. Das, worauf viele andere Städte und ihre Menschen stolz sind, es erhalten, pflegen, vorzeigen (!), das gibt es in Magdeburg nicht oder nur partiell. Ist man in diesen ähnlich vom Krieg gebeutelten Städten als Tourist unterwegs, im Gründerviertel von Lübeck oder im Nicolaiviertel in Berlin, schaut man sich gern und oft staunend an, wie hier die urbane Vergangenheit zumindest teilweise lebendig geworden ist.“ (Quelle: Broschüre Prämonstratenserberg)
2023 - Vera Wolfskämpf (Journalistin):
"Am 16. Januar 1945 zerstörte ein Bombenangriff Magdeburgs Innenstadt. Einen Monat später, am 13. Februar traf es Dresden. Die Luftangriffe gelten als die verheerendsten während des Zweiten Weltkriegs. In Dresden wurde vieles im Zuckerbäcker-Stil wiederaufgebaut, bis hin zur Frauenkirche - das Stadtbild Magdeburgs ist dagegen bis heute durch die Zerstörungen geprägt." (Quelle: Mitteldeutscher Rundfunk /MDR)
2024 - Dr. Matthias Lerm (ehemaliger Leiter des Stadtplanungsamtes Magdeburg):
"Magdeburgs Innenstadt ist als Ergebnis von Kriegszerstörung und großräumigem Neuaufbau noch immer viel zu weiträumig und funktional einseitig beschaffen. Oft stellt sich kein urbanes Lebensgefühl ein. Kulminationspunkte städtischen Lebens, aus der Tradition der 'Europäischen Stadt' hervorgegangen, können weiter verdichtet werden und vertikale Akzente erhalten."
(Quelle: Ausblick - Perspektiven für Magdeburg / Der Deutsche Historische Städteatlas, Band 7: Magdeburg. Münster 2024.)
Wie in Dresden und Potsdam soll in Magdeburg nach Vorschlag des Kuratoriums Ulrichskirche e.V. ein identitätsstiftendes sakrales Einzelbauwerk wieder erlebbar gemacht werden, das untrennbar mit der Geschichte der Stadt und der Kulturgeschichte unseres Landes verbunden ist: St. Ulrich und Levin.
Die Magdeburger Innenstadt veränderte sich in den letzten Jahren stark. Viele Bauprojekte stehen in Beziehung zum ehemaligen Standort der Ulrichskirche. Der City-Tunnel (westlich der Ulrichskirche), der Neubau des "Blauen Bocks" (nördlich der Ulrichskirche) und die Strombrückenverlängerung (östlich der Ulrichskirche) nehmen St. Ulrich und Levin in die Mitte.
Der City-Tunnel. Der Tunnelbau in der Magdeburger Innenstadt zwischen Damaschkeplatz und Otto-von-Guericke-Straße wurde kontrovers diskutiert und schließlich nach zwei Anläufen im Stadtrat beschlossen. Damit wird der Autoverkehr unter die Erde verlegt, die Straßenbahnen und Fahrradfahrer fahren dann allein überirdisch. Mit der beschlossenen kurzen Tunnelvariante, die den Autofahrer vor der Kreuzung Otto-von-Guericke-Straße und Ernst-Reuter-Allee wieder an die Oberfläche kommen lässt, ergibt sich eine neue Situation des Stadteingang. Die folgenden beiden Fotomontagen visualisieren, wie sich die Ausfahrt gestalten würde, wenn die Ulrichskirche noch stünde.
Der Blaue Bock. Der das Innenstadtbild prägende Plattenbau, welcher im Volksmund aufgrund seiner Farbe und Gestalt auch "Blauer Bock" genannt wird, wurde bereits abgerissen. Ein Neubau entstand in unmittelbarer Nachbarschaft zum ehemaligen Standort der Ulrichskirche.
Die Strombrückenverlängerung. Die Landeshauptstadt erhielt kürzlich eine zweite leistungsfähige Elbüberquerung. Hierzu wurde eine neue Brücke in Verlängerung der in den 1960er Jahren eröffneten Strombrücke gebaut. Sie überquert die Zoll- und die Alte Elbe parallel zu zwei mehr als 100 Jahre alten Gewölbebrücken. Die höhere und weiter südlich verlaufende Brücke wird die Silhouette der Stadt Magdeburg von Osten her stärker erlebbar machen. Die Autofahrer würden die Türme der Ulrichskirche direkt vor sich in der Blickachse sehen, wenn die Kirche nicht 1956 gesprengt worden wäre.
"Aber woher sollten das die Wähler wissen? Hätten sie es gewusst und anders abgestimmt, wäre Magdeburg jetzt jährlich das Ziel von zigtausenden US-Touristen und 2025 sicher Kulturhauptstadt Europas." Siegfried Kolberg, Magdeburg