Ulrichskirche
 

 
 

Ansprache von Dr. Matthias Sens zum Themenjahr "Reformation und Toleranz" innerhalb der Lutherdekade


In der Lutherdekade wird heute das Jahresthema „Reformation und Musik“ durch das Thema „Reformation und Toleranz“ abgelöst.

Was ist eigentlich Toleranz?

 „Toleranz bedeutet Respekt, Akzeptanz und Anerkennung der Kulturen unserer Welt, unserer Ausdrucksformen und Gestaltungsweisen unseres Menschseins in all ihrem Reichtum und ihrer Vielfalt. Gefördert wird sie durch Wissen, Offenheit, Kommunikation und durch Freiheit des Denkens, der Gewissensentscheidung und des Glaubens. Toleranz ist Harmonie über Unterschiede hinweg. Sie ist nicht nur moralische Verpflichtung, sondern auch eine politische und rechtliche Notwendigkeit. Toleranz ist eine Tugend, die den Frieden ermöglicht, und trägt dazu bei, den Kult des Krieges durch eine Kultur des Friedens zu überwinden.“ So beschreibt die Erklärung der UNESCO von 1995 den Begriff Toleranz.

Die Reformation hat die Toleranz nicht erfunden. Am Ende der Reformation, 1555 beim Augsburger Religionsfrieden, wurde noch nicht die Freiheit des Glaubens und des Denkens erreicht. Es wurde nur zugestanden, dass die Länder und Fürstentümer, die den evangelischen Glauben angenommen hatten, evangelisch bleiben durften. Das war freilich schon ein großer Erfolg und auch ein Schritt in Richtung Toleranz. Magdeburg hatte seinen Beitrag dazu geleistet, indem es sich 1547 dem Diktat des Kaisers widersetzte, der weitgehend die alte römisch-katholische Glaubensordnung wieder einsetzen wollte. Die Streitschriften aus „Unseres Herrgotts Kanzlei“ hatten den lutherischen Glauben engagiert verteidigt, und die Stadt Magdeburg hatte 1551 dem Versuch widerstanden, die alte Ordnung mit Gewalt wieder durchzusetzen. Freilich, die Streitschriften waren selbst äußerst unduldsam allen gegenüber, die eine andere Meinung vertraten und die vielleicht nach einem tragbaren Kompromiß suchten. Und erst nach den Schrecken des 30-jährigen Krieges wurde eine Ordnung gefunden, in der sich wenigstens in Ansätzen religiöse Toleranz entwickeln konnte.

„Potsdamer Toleranzedikt“ nennt man den Erlass des brandenburgischen Kurfürsten von 1685, der den aus Frankreich vertriebenen Reformierten erlaubte, in sein lutherisches Land zu kommen. Seitdem gibt es auch hier in Magdeburg beides nebeneinander: evangelisch-lutherische und evangelisch-reformierte Gemeinden. Und es wurde ein langer Weg von der bloßen Toleranz bis zur vollen Gemeinschaft.

Erst in der Aufklärung wurde die Idee der Toleranz mit Nachdruck entwickelt und vertreten. Der aufgeklärte König Friedrich II. meinte, dass jeder nach seiner eigenen Konfession selig werden solle, und stellte grundsätzlich  die Katholiken in Preußen den anderen Kirchen gleich. Und in Österreich wurden durch das Toleranzpatent Josephs II 1781 die vorher verfolgten religiösen Minderheiten, in diesem Falle evangelische, geduldet. Lessing warb mit seinem Drama „Nathan der Weise“ um Toleranz zwischen den Religionen, eine Aufgabe, vor der wir bis heute immer wieder neu stehen.

Reformation und Toleranz ist also ein weit gefächertes Thema. Da kann man manches entdecken in der Geschichte Magdeburgs und der Ulrichskirche.  Die Sprengung der Ulrichskirche geschah in einer Zeit, in der wenig Freiheit des Glaubens und des Denkens gewährt wurde. Wo wir heute Toleranz üben und entwickeln müssen, gilt es immer wieder neu zu entdecken. Wenn wir mit unserer Arbeit zu einer Kultur des Friedens beitragen könnten, wäre das eine gute Sache.