Ulrichskirche
 

 
 

Der Kulturfalter berichtet

Das Bürgerbegehren zur Ulrichskirche läuft noch bis zum 10. September
„WIR SEHEN DAS SPORTLICH“

Zehntausend am Zehnten? Diese Frage bewegt derzeit die Magdeburger Gemüter und jeder weiß, worum es geht: Wird es zum Bürgerentscheid über den Wiederaufbau der Ulrichskirche kommen? Wird die Bürgerinitiative „Demokratie wagen – Bürger fragen“ es schaffen, bis zum 10. September die zehntausend vorgeschriebenen Unterschriften zu sammeln, die den Schritt vom Bürgerbegehren zum Bürgerentscheid freimachen? Und somit ein Novum in Sachsen-Anhalt schaffen – denn einen „richtigen“ Bürgerentscheid gab es noch nie im Land, sieht man mal von den kommunal initiierten Abstimmungen zur Gebietsreform ab. Gut für Magdeburg wäre es auf jeden Fall.
Die Fronten sind klar bzw. scheinen sie klar zu sein: Auf der einen Seite das Kuratorium Ulrichskirche e.V. mit Tobias Köppe, dem Initiator des Wiederaufbauprojekts. Und auf der anderen Seite die Bürgerintiative mit der treibenden Kraft Carola Schumann, ihres Zeichens FDP-Stadträtin, an der Spitze. Schnell sind Pro-Contra-Formulierungen bei der Hand, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass das Bürgerbegehren die potentiellen Unterschreiber fragt, ob sie „gegen einen Wiederaufbau der Ulrichskirche“ sind. Aber anders als erwartet oder vermeintlich bewiesen durch emotionale Querschläger auf beiden Seiten, zeigt das aktuelle Geschehen, wie besonnen und unübertrieben vernünftig die Protagonisten und die Magdeburger mit der Thematik umgehen. Und wie die Stadt mit der Diskussion um die Ulrichskirche die Chance hat, anderen Städten zu zeigen, wie man demokratisch-bürgerlich mit „wichtigen Gemeindeangelegenheiten“ verfährt und quasi nebenbei dem Stadtrat deutlich macht, dass ein Vertrauen in des Volkes Meinung gut angelegt sein kann.
Denn das Bürgerbegehren von „Demokratie wagen“ zielt mitnichten auf polemische Fundamentalopposition zum Kirchen-Neu/Wiederaufbau ab. Es birgt die einfache Chance, die Magdeburger selbst über ihre Innenstadt entscheiden zu lassen. Aber die Gemeindeordnung schreibt nunmal eine konkrete Ja/Nein-Fragestellung vor. Würde dem nicht so sein, würde dem Bürgerbegehren das gleiche Schicksal drohen, wie einem Versuch in Stuttgart: Ein Bürgerbegehren gegen das ungeliebte Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 wurde im Juli 2009 trotz ausreichender Unterschriftenzahl für unzulässig erklärt, weil es keine konkrete Forderung erhoben hat, sondern nur Verantwortung delegieren wollte. Heute gibt es in der selben Frage im Schwabenland kein Vor oder Zurück mehr. Dafür aber eine umso zerstrittenere Stadt. Natürlich geht es in Magdeburg in Bezug auf die Ulrichskirche nicht um Millarden. Dem Kuratorium nach soll der Kirchenbau über Spenden finanziert werden und den Stadthaushalt nicht belasten. Aber auch wenn Geld angeblich keine Rolle spielt, so beinflusst ein Ja oder Nein in Bezug auf die Ulrichskirche doch das Aussehen der Innenstadt für die nächsten hundert oder gar tausend Jahre.
Carola Schumann macht keinen Hehl daraus, dass sie kein Fan des „Kirchenneubaus“ ist. Gleichzeitig ist es ihr aber ein inneres Bedürfnis, im Telefonat mit KULTURFALTER gleich mehrmals klarzustellen, dass ihr es nicht um das Scheitern des Kirchenprojekts geht: „Ich will niemanden davon abbringen, für die Kirche zu sein.“ Ihr ist die Entscheidungsmöglichkeit für die Bürger selbst wichtig. Letztere hat der Stadtrat den Magdeburgern nicht zugestehen wollen. Zwar wird Schumann deshalb von einigen Befürwortern der Kirche kritisch beäugt, da sie durch einen möglichen Bürgerentscheid das Votum des Stadtrats, dem sie selbst angehört, revidieren könnte. Aber wenn das Gesetz netterweise eine direkte Bürgerentscheidung als relevanter definiert, warum sollte sich eine von den Bürgern gewählte Stadträtin nicht auf dieses Gesetz bzw. das Recht auf ein Bürgerbegehren berufen?
So wie Schumann glaubwürdig macht, die Ulrichskirchenentscheidung einfach nur in die Hände der Magdeburger legen zu wollen, versichert Tobias Köppe ebenso ehrlich seinen „Respekt für die bis jetzt von der Initiative gesammelten Stimmen“. Für ihn steht nicht weniger als die Vision vom Wiederaufbau der Kirche auf dem Spiel, die er vor 15 Jahren als historisch interessierter Medizinstudent in Magdeburg hatte. Trotzdem sagt er, dass er im Falle des Falles „die aus dem möglichen Bürgerentscheid resultierenden Konsequenzen akzeptieren und tragen“ würde. Keine Spur von Frustration findet sich bei ihm, aber auch kein Anzeichen von Resignation. In seinen Äußerungen schwingt glaubwürdig mit, dass ihm die Ulrichskirche eine Herzensangelegenheit ist – aber keine, die er den Magdeburgern aufzwingen will.
Beide, sowohl Köppe als Schumann, machen gerade ihre Erfahrungen mit den negativen emotionalen Seiten der Frage zu Ulrichskirche. „Wir haben an unseren Ständen oder auf unserer Website viel Kritik bekommen. Und manche E-Mails kann ich gar nicht auf der Website veröffentlichen, weil es ziemlich derbe Beschimpfungen oder unchristliche Pöbeleien sind“, erzählt Tobias Köppe. „Aber das betrifft nur einen kleinen Teil und wir haben auch viele intelligente und sachliche Gegner.“ Beinahe Identisches kann Carola Schumann erzählen: „Wir hatten und haben an unseren Unterschriftenständen auch viele Gegner dabei und mussten uns teilweise als Stalinisten beschimpfen lassen. Aber es gab auch viele Befürworter der Ulrichskirche, die auf unseren Listen gern unterschrieben haben, weil sie einen Bürgerentscheid wollen.“
Für die emotionalen Begleitungerscheinungen der Ulrichskirchen-Debatte finden sowohl Carola Schumann als auch Tobias Köppe bemerkenswerter Weise unabhängig voneinander die selben Worte: „Wir sehen das sportlich.“ Gleiches würden wahrscheinlich auch die meisten Magdeburger sagen, wenn „sportlich“ gegen „demokratisch“ ausgetauscht werden würde. Denn es scheint, als würden sie sich, ebenso wie Schumann und Köppe, nach einem bürgerdemokratischen Votum sehnen – und diese Entscheidung unabhängig vom Ergebnis auch mittragen. Damit hätte Magdeburg vielen anderen Gemeinden demokratisch eine Menge voraus. Es käme auf einen Versuch an. Bis zum 10. September ist noch Zeit, mit seiner Unterschrift die Weichen dafür zu stellen. Alexander Bernstein

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