Ulrichskirche
 

 
 

"Herzlichen Glückwunsch Magdeburg heute aus Berlin!" - Eine Predigt zum Reformationstag 2024 aus der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz

Wir danken Pfarrerin Susanne Seehaus von der Evangelischen Emmaus-Gemeinde (früher Ev. Ernst-Moritz-Arndt-Gemeinde) aus Berlin (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz), die am Reformationstag 2024 das Reformationsjubiläum "500 Jahre Reformation in Magdeburg 1524-2024" und die bedeutende Reformationskirche St. Ulrich und Levin in ihre Predigt aufnahm und veröffentlichen diese an dieser Stelle:

Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem der gelegt ist….

"Liebe Gemeinde,

heute am Reformationstag denken wir über Grundlegendes nach. Natürlich ist der Aufhänger für diesen Tag der 31.10.1517, der Tag, an dem Martin Luther seine 95 Thesen an die Wittenberger Schlosskirche angeschlagen hat.

Wenn wir heute in die Mitteldeutsche Kirche nach Magdeburg schauen, dann wird dort in diesem Jahr 500 Jahre Reformation gefeiert. Denn Martin Luther war 1524 dort und hat hier in der ersten Großstadt der Welt mit Hilfe seines treuen Weggefährten Nikolaus von Amsdorff die Reformation durchgesetzt. Die Magdeburger also feiern heute ein großes Jubiläum.

Und noch ein Jubiläum gilt es heute zu bedenken: 1999, also vor 25 Jahren, wurde in St. Anna in Augsburg eine gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre verabschiedet. Der Lutherische Weltbund und der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen befanden, dass die Lehre von der Rechtfertigung nicht mehr kirchentrennend ist. Es heißt dort: Gemeinsam bekennen wir: allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat Christi nicht auf Grund unseres Verdienstes werden wir von Gott angenommen und empfangen den Heiligen Geist der unsere Herzen erneuert und uns befähigt und aufruft zu guten Werken.

Ein denkwürdiger Tag. Leider kein Feiertag mehr in Berlin, dafür in Brandenburg. Für viele Menschen ist heute Helloween und Martin Luther ist kaum noch im Gedächtnis. Außerdem scheint es, als wären wir heute über all die Themen hinweg, die Luther damals umtrieben: der Ablasshandel und die Frage nach dem Seelenheil und was der Mensch eigentlich dazu tun kann. Selbst der Jahrhunderte währende tiefe Graben zwischen evangelischem und katholischem Verständnis von Rechtfertigung scheint überbrückt.

Ecclesia semper reformanda – so ein Slogan der Reformation. Das galt eigentlich schon immer. Die ganze Kirchengeschichte scheint nichts Anderes zu sein als eine sich ständig fortsetzende Reform. Und so können wir fragen, was denn heute so dringlich scheint, dass die Kirche sich reformieren muss.

Lasst uns nach Magdeburg schauen. Am letzten Wochenende war ich dort und besuchte die Mitgliederversammlung des Vereins Kuratorium Ulrichskirche e.V.. Der Verein bemüht sich seit 17 Jahren darum, an die bereits im 11.Jahrhundert in Magdeburg existente Kirche St. Ulrich und Levin zu erinnern. Diese bedeutsame Kirche, in der Otto von Guericke getauft wurde und Nikolaus von Amsdorff wirkte, hat über Jahrhunderte im Zentrum Magdeburgs gestanden. Selbst die verheerenden Bombardierungen 1945 haben die Kirche nur teilweise getroffen. Sie stand und hätte ohne Probleme gut wiederaufgebaut werden können. Aber man wollte in Magdeburg in den 50iger Jahren ein neues, sozialistisches Zentrum mit einem Platz, auf dem die Kirche im Weg stand. Unter massivem Protest von Seiten der Kirchen (Ev/Kath) wurde sie am 5. April 1956 gesprengt. Nach der politischen Wende 1989/90 wollte man in Magdeburg ähnlich wie in Dresden eine Rekonstruktion in Angriff nehmen. Aber das scheiterte immer wieder am politischen Willen. Und vielleicht auch daran, dass die Magdeburger nach 40 Jahren DDR ihre christlichen Traditionen nicht mehr wertschätzen.

Gott – den braucht man nicht mehr unbedingt. Und ob er uns nun wohlgesonnen ist oder nicht – das spielt für viele Menschen keine Rolle mehr. Und so fragen sich beide Konfessionen inzwischen ganz andere Dinge als Luther es tat. Aber vielleicht treffen sie, treffen wir uns doch an einer Stelle:

Der Kern der Rechtfertigungslehre besagt ja am Ende nichts Anderes, als dass der Mensch sich in seinem Leben auf Gott beziehen soll und dass der Mensch nicht glücklich und zufrieden wird, wenn er allein aus eigener Kraft die Welt und das Leben gestaltet.

Damit bestreitet der Glauben, evangelisch und katholisch gleichermaßen, die moderne Sicht auf den Menschen, der seines eigenen Glückes Schmied ist. Gott ist tot – so sagen es mit Nietzsche sehr viele „Gebildete unter den Verächtern der Religion“ (Schleiermacher). Und genau da ist wohl heute eine der großen Reformbewegungen innerhalb der Kirche nötig: was setzen wir dem eigentlich entgegen?

Die massive Anfrage an beide Kirchen ist in Magdeburg auch heute sehr sichtbar und nah. Der Platz, auf dem einst St. Ulrich und Levin stand, ist eine Grünfläche. Darunter sind die Fundamente der alten Kirche begraben. Sie sind noch da, tragen den Platz auch heute und erinnern an die Worte: Einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist – Jesus Christus.

Auch in Magdeburg bleibt der Grund gelegt. Er ist überbaut mit einer Zeitschicht, die davon ausging, dass es Gott nicht mehr braucht. Jetzt scheinen wir in einer Zeit angekommen zu sein, in der die Welt sagt: Gott ist mir eigentlich egal. Wenn er mir hilft: wunderbar! Wenn nicht, auch gut! Ich muss es am Ende allein richten. Glück und Zufriedenheit sind meine Leistungen und ich kann sie mir durch meinen Lifestyle, diverse Coaches und Ratgeber zusammenbasteln und ich selbst halte mich und mein Leben fest. Der Grund, auf dem ich stehe, das ist meine Biografie, meine Kraft mich ständig neu zu erfinden. Der Grund, auf dem ich stehe, ist das, was ich mir erarbeitet habe, mein Besitz, meine Leistung.

Was ist unsere kirchliche Antwort auf diese Art der Weltsicht? Wie können wir die Rechtfertigungsbotschaft heute in eine Welt sprechen, die eigentlich nur noch mit sich selbst beschäftigt ist, wo Menschen sich in ihren jeweiligen Blasen bewegen und vor allem um sich selbst kreisen?

Ja, wir werden weniger. In Magdeburg gibt es nur noch 8-10 % Christen. Wenige Schultern, auf denen viel ruht. Der Umgang der Kirche mit St. Ulrich und Levin für mich ein Zeichen, wie es insgesamt um uns steht. Wir ziehen uns zurück, werden immer weniger und lassen uns einschüchtern. Wir sehen zu, wie unsere Städte und Dörfer geistliche Ort verlieren, weil wir keine Kraft mehr haben, sie zu erhalten. Wir überlassen das Gemeinwohl immer mehr sich selbst und werden immer weniger gefragt. Vielleicht auch deshalb, weil wir nichts mehr zu sagen haben? Und doch bleibt unsere Aufgabe, Salz der Erde zu sein. Nicht zu verstummen, uns einzumischen und für unser Gemeinwesen zu beten, das Fundament zu bewahren und es immer neu zu erschließen.

Der Reformationstag ist ein Tag der Erinnerung und der Einkehr. Zurück zum Grund, der gelegt ist. Jesus Christus – gestern und heute und derselbe in Ewigkeit. Wir bekennen gemeinsam in der evangelischen und katholischen Kirche, dass Gott unser Schöpfer ist, dass wir auf ihn hin geschaffen sind und dass wir auf dem Fundament des Glaubens stehen, der in Jesus Christus liegt.

Ich habe den Eindruck, dass wir eine gemeinsame Aufgabe haben, dieses Fundament des Glaubens zu bewahren, es sichtbar zu machen in Wort und Tat. Unsere Kirchgebäude sind sichtbare Marker dafür mitten in der Welt. Sie zu bewahren, in ihnen Gottesdienst zu feiern ist ein wichtiges Zeugnis in dieser Welt. Und wenn sie, wie in Magdeburg, nur noch als Fundamente in der Erde liegen, geben sie dennoch Halt und Kraft. Vielleicht schaffen sie es in Magdeburg noch, den Ulrichplatz und seine Jahrhunderttradition für die Stadt als „Segensspender“ und „heilsame Unterbrechung“ zu erschließen. Herzlichen Glückwunsch Magdeburg heute aus Berlin!

Der Grund ist gelegt und er trägt -gestern und heute und derselbe in Ewigkeit.

Amen."