Ulrichskirche
 

 
 

Alt-OB und Ehrenbürger der Stadt Magdeburg, Dr. Willi Polte bringt es auf den Punkt

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Dr. Willi Polte: "Einige Gedanken zur Ulrichskirche! Am 31. Oktober 2007 hat sich ein Kuratorium Ulrichskirche e.V. gegründet mit dem ambitionierten Ziel der Rekonstruktion der Magdeburger Ulrichskirche. Die in der Volksstimme von Zeit zu Zeit veröffentlichten Leserzuschriften bzw. Zeitungsnotizen zu diesem Vorhaben veranlassen mich, einige Gedanken dazu zu äußern.

Der  gesellschaftliche Umbruch  und Aufbruch  von 1989/1990  brachte einerseits große Herausforderungen für alle Bereiche unseres urbanen Lebens mit sich, andererseits boten sich bisher ungeahnte Chancen für die Stadtentwicklung und für die Erneuerung aller Lebensfunktionen unserer Stadt. Längst begrabene Hoffnungen und Wünsche wurden wieder geweckt so auch im Hinblick auf eine „Stadtreparatur“,  in Erinnerung an das am 16. Januar 1945 verlorenen Stadtbild. 45 Jahre später  war jedoch  der Traum vom „alten Magdeburg“, der in vielen Briefen und Bürgergesprächen vor allem von älteren Magdeburgern erkennbar wurde, unrealistisch. Wie so oft im Leben ergab sich ein Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit, denn die alte Stadtstruktur von vor 1945 wurde vor allem im stark zerstörten Zentrumsbereich im Zuge des Wiederaufbaus ab 1952 weitgehend aufgegeben. Dabei folgte das Baugeschehen meist ideologischen Vorgaben und grundsätzliche Stadtentwicklungsfragen wurden nicht vor Ort sondern zentral in Berlin entschieden. Die grundlegend verschiedene Stellung des Eigentums in  der DDR-Gesellschaft und in der Bundesrepublik schränkten nach 1990 die Möglichkeiten für ein schnelles  städtebauliches Handeln erheblich ein. Ein eigens in der Stadt gebildetes „Amt für offene Vermögensfragen“ hatte eine Flut von ca. 25000 Anträgen aus aller Welt von tatsächlichen oder vermeintlichen Eigentümern und Erben zu klären und zu bescheiden. Allein auf dem Areal des heutigen Allee-Centers und des Ulrichshauses lagen 265 Altansprüche. Da nur in Ausnahmefällen die Stadtverwaltung als Bauherr im Innenstadtbereich in Frage kam, galt es Investoren zu gewinnen. Diese hatten zwar keine ideologischen Zielsetzungen, aber dafür klare wirtschaftliche Interessen.

Vor allem der Charakter der Innenstadt ist bestimmend für das Bild, das sich sowohl die Bewohner als auch die Gäste von einer Stadt machen (entscheidend für das Image einer Stadt). Deshalb muß das Bild unserer Innenstadt unverwechselbar sein, wobei verschiedene Objekte mit Alleinstellungsmerkmal die Einzigartigkeit unserer Stadt dokumentieren. (Dom, Kloster, Elbe und Elbufergestaltung, Hundertwasserhaus u.a.) Dabei gilt: Je mehr Objekte in dieser Kategorie um so besser. Zum Lebensgefühl und zur Lebensqualität  der heute lebenden Menschen gehört eine hohe Mobilität. Entsprechende verkehrliche Baumaßnahmen hinsichtlich des Öffentlichen Personennahverkehrs sowie  des rollenden und ruhenden Verkehrs sind im Interesse einer prosperierenden Innenstadt unerläßlich. Wo immer es möglich ist gibt es immer wieder Bemühungen der Stadtverwaltung sowie privater Initiativen durch Sanierung und Rekonstruktion historischer Bauten und die Erneuerung der gewachsenen historischen Stadtstruktur die große geschichtlichen Bedeutung der Stadt Magdeburg zu dokumentieren, bewußt und erlebbar zu machen und auch den Stolz auf die Stadt zu manifestieren. An einige wenige Beispiele sei erinnert: Das südliche Stadtzentrum mit dem Hasselbachplatz, die Hegelstraße mit dem Dom- und dem Hegelgymnasium, die Möllenvogtei mit dem alten Amtshaus (Haus der Romanik), der Herrenkrugkomplex, die Zollbrücke und die Sternbrücke, die Lukasklause, die Bastion Cleve, das Gesellschaftshaus mit dem Klosterbergegarten und nicht zuletzt die Johanniskirche.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle für die urbane Lebensqualität ist die Identifikation von Bürgern mit Ihrem Lebensumfeld. Aus der Identifikation mit dem „Zuhause“ erwächst bürgerschaftliches Engagement und das Bestreben, sein Gemeinwesen noch attraktiver zu gestalten. Dieses Engagement zeigt sich in vielen Bürgerinitiativen und jede Kommune kann sich glücklich schätzen, die viele gemeinnützige Bürgerinitiativen hat. Solche Initiativen haben geholfen, daß wir heute die wiedererstandene Johanniskirche in der Stadt haben, daß unser Dom wieder eine prächtige Hauptorgel hat, das es vor dem Dom ein Bürgerdenkmal in der Erinnerung an den Aufbruch von 1989/90 gibt, das ein neugeschaffener Roland wieder seinen angestammten Platz vorm Rathaus eingenommen hat, das verschiedene Kunstobjekte im öffentlichen Raum unsere Stadt zieren. Für alle Lebensbereiche, ob die Kultur-, der Sport-, die Umwelt-, die Freizeit- und der Sozialbereich, überall engagieren sich unsere Mitbürger und machen dadurch unsere Gemeinwesen lebens- und liebenswerter.

Zu den immerwährenden Herausforderungen gehört  die Stadtgestaltung und Stadtentwicklung. Auch hierbei ist das Engagement möglichst vieler Bürger gefragt, die sich in Verantwortung vor der 1200-jährigen Geschichte unserer Stadt dieser Aufgabe stellen, die aber auch den Gegebenheiten und Erfordernissen der Jetztzeit und dem Ziel einer zukunftsgerechten Stadt Rechnung tragen. Je mehr Bürger sich in diesen Prozeß einbringen, um so größer ist die Chance, daß die Einwohner ihre Stadt wertschätzen und den Stolz auf ihr „Zuhause“ nach außen tragen. Es entspricht dabei der Lebenswirklichkeit, daß man Veränderungen, Erneuerungen und Entwicklungen immer nur im Widerstreit erreicht. Bedenkenträger, Pessimisten, wirtschaftliche Interessen und ideologische Positionen spielen immer eine Rolle. Als der Magdeburger Oberbürgermeister, August Wilhelm Francke, 1829 den Bau einer Eisenbahn von Magdeburg nach Leipzig anstrebte, stieß er auf eine klare Ablehnung der dominierenden Magdeburger Kaufmannschaft. Erst 1839 konnte sich der Verkehrsfortschritt mit der Einweihung des ersten Streckenabschnitts von Magdeburg nach Schönebeck durchsetzen. Eine private Initiative Ende des 19. Jahrhunderts zum Bau einer schienengebundenen öffentlichen Straßenbahn mußte sich vor Gericht gegen die entschiedene Gegnerschaft des Oberbürgermeister Carl-Gustav Friedrich Hasselbach durchsetzen. Auch der Wiederaufbau der Johanniskirche war kein Selbstläufer. Die letzte entscheidende Abstimmung im Stadtrat wurde durch eine Stimme entschieden, 21:19 Stimmen für den Aufbau. Wer freut sich heute nicht über die wiedererstandene städtebauliche Dominante am westlichen Hochufer der Elbe und den attraktiven Veranstaltungsort? Wer freut sich nicht über den zweiten Turm der Kirche und den Klang der Glocken nachdem sie kriegsbedingt über 60 Jahren stumm blieben? Hierbei hat das „Kuratorium Johanneskirche“ mit seinem bürgerschaftlichen Engagement im besten Sinne kräftig geholfen. Als sich engagierte Bürger 1997 mit den eigens gegründeten Verein „Aktion Neue Domorgel“ auf den Weg machten, hielt es keiner für möglich, daß bereits im Jahre 2008 die größte neu geschaffene Orgel Sachsen-Anhalts im Magdeburger Dom erklingen würde. Allein 2008 wurde das Magdeburger Musikleben durch ca. 60 Konzerte auf der neuen Domorgel bereichert. Ohne das Engagement von jungen Leuten und der eigens gegründeten „Kulturstiftung Kaserne Mark“ hätten wir nicht diesen ungewöhnlichen Veranstaltungskomplex, insbesondere für die Magdeburger Studentenschaft, und ein Baudenkmal der jüngeren Magdeburger Festungsgeschichte, daß mit Leben erfüllt ist und baulich  für kommende Generationen gesichert wurde.

Nun hat sich 2007 ein weiterer gemeinnütziger Verein mit dem Ziel gegründet, die Ulrichskirche an ihrem Ursprungsplatz wiedererstehen zu lassen. Gewiß ein Vorhaben, das interessierte Bürger zwischen „kühner Vision“ und „absoluter Unsinn“ ansiedeln. Vielleicht kann eine Anregung die eigene Meinungsbildung befördern. Man stelle sich einmal an die Ecke Goldschmiedebrücke/Krügerbrücke und lasse seinen Blick 360° kreisen. Nichts hat uns der Krieg und die Nachkriegszeit vom alten Magdeburg an dieser Stelle gelassen und eine neue Baukultur prägt heute diese innerstädtische Mitte. Nun projiziere man gedanklich die Ulrichskirche in dieses weiträumige Ensemble und versuche sich die architektonische Wirkung einer wiederaufgebauten Ulrichskirche vorzustellen um dann die Fragen zu beantworten: Wäre die Rekonstruktion der Ulrichskirche ein städtebaulicher Gewinn? Wäre diese „Traditionsinsel“ ein Beitrag zur punktuellen Stadtreparatur unserer geschichtsträchtigen Stadt? Wäre dies ein das Stadtbild prägender Baukörper mit Alleinstellungsmerkmal, welcher die Einzigartigkeit von Magdeburg unterstreicht? Würde dies die Identifikation der Magdeburger mit ihrer Stadt und den Stolz auf ihre Stadt befördern und das Image befördern? Die Antworten werden von „ja“ über „ja, aber“ bis zum „nein“ reichen. Wer aber „ja“ sagt sollte sich nicht von dem fast aussichtslos erscheinenden Vorhaben entmutigen lassen sondern die Initiatoren wenigsten moralisch unterstützen. Auch der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt und wie kommende Generationen sich städtebaulich mit ihrer Stadt auseinander setzen vermag man heute nicht zu sagen. Aber Visionen zu entwickeln, Wege zu ebnen und Chancen zur Zukunftssicherung unserer Stadt zu nutzen ist eine Verpflichtung der heute lebenden Generation. Für bestimmte Vorhaben wird nur die Generation die Willenskraft aufbringen, die den Krieg und die schweren Aufbaujahre erlebt hat. Bezogen auf den Verein Ulrichskirche ergeben sich zwei Grundfragen: 1.Wie könnte die Nutzung einer rekonstruierten Ulrichskirche aussehen und wer könnte der oder wer könnten die Nutzer sein? 2. Aus dem Nutzungszweck ergibt sich die Frage der Gestaltung des Kircheninnenraumes. Unsere Landeshauptstadt muß wieder eine Metropole Mitteldeutschlands werden und wir hätten mit der Ulrichskirche einen interessanten Baukörper für besondere Landesbehörden, z. B. Sitz einer oder verschiedener Landesstiftungen, evt. mit Bildungsauftrag, ein historisches Archiv, oder ein landesgeschichtliches Museum. Vielleicht wäre für eine zu gründende Eike von Repgow-Akademie die Ulrichskirche ein angemessenes Objekt. Denkbar wäre die Unterbringung der Evangelischen Akademie, aber auch einer Institution des Bundes. Ich wünschte mir Vorschläge, Anregungen und Ermutigungen und keine Beschreibung der Risiken und Schwierigkeiten für dieses anspruchsvolle Vorhaben. Wer sich einer solchen Herausforderung stellt wird ohnehin auf den Boden der Wirklichkeit gehalten und muß ein tiefe Liebe zum Vorhaben, einen starken Willen und einen langen Atem haben."